Skip to main content
Hundewissen einfach erklärt
10.12.2023 17:00

Herbsthunde

Herbsthunde - Überleben ist alles

Die orange-semmelgelbe Hündin hob ihren wohlgeformten Canidenkopf und mit gespitzten Ohren, die wie aufgestellte Warndreiecke in alle Himmelsrichtungen lauschten - verkürzte sie den Blick ihrer Kajalstift schwarzumrandeten, Bernsteinmandelaugen.

[In der Blog-Übersicht wird hier ein Weiterlesen-Link angezeigt]

Mit bebenden Nasenflügeln prüfte sie die Düfte der lauwarmen Abendluft.

Jeder neue Duftstrom, die die Auf- und Abwinde ihr auf dem Bergkamm zutrugen prüfte sie sorgfältig, aber außer dem würzigen Duft des Viehs, dem metallischen Blutgeruch und süßlich, warm verbranntem Fleischgestanks der alles überlagerte, konnte sie nicht ein Duftmolekül des alten Rüdens ausmachen. Wo war er nur?

Jetzt wo wieder Ruhe eingekehrte und die Welt sich beruhigte, nach der betäubenden Druckwelle die sie wie ein Blatt durch die Luft geschleudert hatte. Der Rüde war dicht bei ihr gewesen und sie beide waren so feste gegen die nächste Hauswand geschleudert worden, das es ihr das Bewusstsein geraubt hatte.

Schmerz lief durch ihren muskulösen Rücken und brannte in ihrem Fleisch, als sie aufgestanden war und sich den Staub aus dem streichholzlangen, glatten Fell schüttelte, das die Hitze der Detonation an den Spitzen leicht angesengt hatte. Als sie zu sich kam, war der Rüde nicht mehr bei ihr und der Lärm und Gestank um sie herum versetzte sie so sehr in Angst das sie nur noch lief, weg - nur weit weg ...... vom Kreischen des verbrennenden und sterbenden Viehs im Stall, den Schreien der Menschen im Keller, die dort Schutz gesucht hatten vor den schwarzen Steinen, die vom Himmel fielen. Ihre Menschen, deren Geruch noch leicht in der Luft zu finden war und sie winselte leise ......

 Als die Welt wieder still wurde, fast gespenstisch ruhig und die verstörenden Gerüche sich milderten, war sie zurück zum Hof getrottet, vorsichtig, immer noch mit Schmerzen im Rücken und noch sehr verunsichert.

Mit gesenkter Rute schlich sie langsam den Tierberg an der flachen Rückseite von den Weiden aus herauf, in dessen steileren Flanke der Kupferhof sich geschmiegt hatte, im Schutz der Sanddornbüsche stand sie nun auf dem Kamm und sondierte die Luft, was war hier nur passiert?

Einzelne Flämmchen glimmten noch immer gierig rot über das schwarz verkohlte Holz der Scheune und Ställe. In der steilen Bergflanke klaffte ein riesiges, schwarzes Loch, als ob ein Riese mit unerbittlicher Hand den Kupferhof aus dem Felsen gegraben hätte. Vereinzelte, leicht angesengte Hühner liefen unverdrossen nach Futter kratzend über den Rest des Schlackestein gepflasterten Hofes und außer den, in den Augen leicht brennenden Rauchschwaden war auf dem Hof nichts weiter zu sehen. Wo war er nur?

Mit gesenktem Kopf ging sie ruhig den Kamm auf der steil abfallenden Vorderseite im Schutz der alten Apfelbäume hinunter und stieg vorsichtig in den Krater ein, ein paar schwarz angerußte Backsteinwände des Kupferhofes standen noch vereinzelt wie zerklüftete Brandungsfelsen und die Backsteine strahlten noch Wärme des Feuers ab, das in ihnen gewütet hatte.

Der schwarz verbrannte Rest des Dielenbodens war noch warm unter ihren Pfotenballen und übrige Glutnestchen sengten ihre Krallen an und es roch nach verbranntem Horn, die Menschen waren nicht mehr hier, sie waren gegangen, ohne sie mitzunehmen, ob er bei ihnen war?

Im Rest des Zwingers, der bis heute ihr Refugium gewesen war, fand sie noch einen Rest schalem Wasser in ihrem weissemalierten Blechnapf der nicht verschmutzt von Russ und Staub war, gierig leckte sie das lauwarme Wasser auf, angenehm lief es ihre rauhe Kehle runter und befeuchtete ihre trockene Zunge.

Hunger...... machte sich in ihrem Bauch breit und sie fing an im Chaos des Hofes nach etwas fressbarem zu stöbern. 

Das fahle Hungergefühl breitete sich schwer wie ein Loch aus und tat weh in ihren Eingeweiden, am Morgen hatte ihr Mensch sie das letzte Mal gefüttert mit kargen Resten, kaum genug, um wirklich satt zu sein, aber reichhaltig genug, um sie und den alten Rüden bei guten Kräften zu halten.

Hinter der aus den Angeln gerissenen Tür zum Stall fand sie ein kleines, braunes Ei, kaum zu glauben, dass eins der Hühner wohl im Schreck des Überlebens diese Tat vollbracht hatte. Gierig biss sie die Schalle auf und leckte schnell das hervorquellende, wabbelige Innere auf. Ihr von Hunger geplagter Magen entspannte sich ein wenig und sie wurde müde, aber wo sollte sie ruhen? 

Hier inmitten all dem Entsetzen der letzten Stunden, wo noch Flammen am Holz der Häuser leckten, Glutnester glimmten und die angesengten Hühner verstört auf dem Hof nach vergessenen Körnern vom Morgen kratzen? Der Schwefelgeruch vom brannten Stroh aus Richtung der Ställe, gemischt mit dem ätzenden Geruch des verbrannten Viehs der in ihre empfindliche Nase stach, aber wo sich auch noch verheißungsvoll der Geruch der Menschen fand und im Zwinger an den modrig feuchten Kälbermaststand, der mit ein paar Brettern von den Menschen zu ihrer dürftigen Schutzhütte umfunktioniert worden war, in den alten, kuscheligen Filzdecken fand sie noch den würzig-maskulinen Moschus-duft von ihm.  Fast konnte sie noch die Restwärme seines strubbeligen Felles spüren, so als ob er gerade erst gähnend und sich gymnastizierend reckend den Schlaf der Nacht aus den alten Gliedern streckte und sie wedelte verhalten. Tief sog sie seinen Duft in ihre lange Nase und prägte sich die Beschaffenheit dieser Moleküle fest ein. Sie würde ihn aufspüren, wenn er zu finden wäre, dessen war sie sich sicher. 

Müde rollte sie sich in seiner verlassenen, kalten Schlafmulde zusammen und legte ihren eleganten Kopf auf einen zusammengescharten Deckenknubbel, den er akribisch extra jeden Abend frisch so zurecht gemacht hatte, um seinen zottigen Kopf dort zur Ruhe zu betten. 

Tief schnaufte sie, doch sie mochte weder Ruhe noch erlösenden Schlaf finden und unruhig rutsche sie auf den Filzdecken rum.

Hunger zwackte noch immer in ihre Rippen und auch die Bilder des Tages beunruhigten sie noch, wunderbarer Weise hatte sie keine nennenswerte Verletzung, ein paar kleine Kratzer und Schürfwunden und ihr angesengtes Fell stank ganz grässlich, dass sie den Nasenrücken krauste vor Ekel. 

Ob sie eins der Hühner schnell stibitzen sollte? NEIN! Ihre Menschen hatten ihr als Welpe schmerzlich klar gemacht, das alle Hoftiere tabu waren, außer den Mäuschen in den Ställen und den fiesen Ratten, wo sie immer Lob von den Menschen ergattert hatte,  wenn sie einen dieser wehrigen, grauen Wanderer erwischt hatte – und das ihre Künste nur bei der Jagd mit ihnen, zu der sie regelmäßig mitgenommen wurden, erwünscht waren. Der alte Rüde, den die Menschen Scotty gerufen hatten, hatte ihr alles gezeigt, die Spuren des Wilds, sein Geruch und wie sie die Fährte wiederfand, wenn der Wind sie seitlich verwischte. Sie hatte gelernt, das man Dachse lieber in Ruhe lies und wilde Schweine sehr gefährliche Gegner waren die man, ohne Mensch und ganz besonders wenn die Bachen Frischlinge führten, lieber mit großem Bogen meidete.

Also wenn kein dummgackerndes Huhn, was dann? Eine Maus hatte sie noch nicht huschen sehen, seitdem sie erwacht war und auch keine freche Ratte hatte ihren Weg tollkühn gekreuzt. Sie stand auf, ungeduldig mit der Rute schlagend und schlurfte sie langsam zur Stallruine, wenn in den Schweinetrögen noch Reste wären ..... 

In den im Schlackeboden eingelassenen, glasierten Keramiktrögen waren noch von Feuershitze eingebackene Reste vom morgigen Schweinemahl und vom Schweinestall war noch mehr übrig als vom Teil der Kühe, die beiden fahlrosigen Schweinelaiber lagen regungslos in ihrem eingetrockneten, stark riechenden Dreck und eigentlich sahen sie aus, aus ob sie wie sonst gemütlich vor sich hin dösten, der bösartige Keiler und die fette Sau, deren Tage in Menschenobhut eh gezählt gewesen waren und die bald die knurrenden Mägen der Menschen und IHREN gefüllt hätten. Leise schmatzte sie vor sich hin, in Gedanken schon die Knochen nagend und über die würzig fettige Schwarte leckend. 

Stattdessen begann sie nun die Reste aus dem Trog mit ihren scharfen Schneidezähnen abzuschaben. 

Nach ihrem kargen Mahl schlurfte sie noch einmal in die Reste des Haupthauses und suchte nach einer Spur ihrer Menschen und Scotty, aber der Geruch des Feuers überlagerte alles und je stärker sie schnüffelte umso heftiger brannte der Russ in ihrer Nase und löschte jeden Geruch, außer seinem, aus. Ihre Nase began heftig zu laufen und sie leckte sich mit rosiger Zunge die sich schnellbildenden Tropfen von ihrer lackschwarzen Nase. 

Mit hängender Rute trottete sie zurück zu ihrer dürftigen Hütte und rollte sich zum zweitenmal in Scottys verlassenen Schlafmulde ein, schwer legte sie ihren Kopf auf den Deckenhügel, schloss widerwillig ihre Mandelaugen und schon halb im Schlaf zog sie ihre Nickhaut vor. Die Sonne ging hinter dem Tierberg, an dem der Kupferhof gelegen hatte, blutrot unter und der ereignisreiche Tag, der so ruhig begonnen hatte, ging zu Ende.

Die Bewohner des Kupferhofes hatten im Keller Schutz gesucht, als der Fliegeralarm über das kleine Südharzdörfchen, am Fusse des Südharzes, hinweg heulte und Panik die Luft erfüllte. Es war keine Zeit gewesen die Ställe zuzusperren oder die Hunde reinzuholen, denn die Motoren der Bomber dröhnten schon unglücksschwanger durch die Mittagsluft. Zum Glück hatten grad alle am Mittagstisch gegessen, sodass niemand auf dem freien Feld schutzlos sich selbst überlassen war.

Nur zum Pech der zwei guten Hofhunde, die von der Bäuerin zur Essenszeit immer auf den Hof gelassen wurden, damit sie nicht bei Tisch bettelten und die Kinder, „Ach welch Missgeschick!“, etwas von ihrem Teller fallen ließen. So waren alle gemeinsam hektisch in den Keller gepoltert und hatten sich angstvoll aneinander festgehalten. Die Kinder weinten nach den Hunden und baten den Vater, die Hunde holen zu dürfen, aber bevor er antworten konnte, zerriss eine Detonation die Luft.

Splitter, von Backsteinen, Holz und Mörtel - der zu staubigen, zäh-ätzenden Dreck pulverisierte, in jede sich bietende Ritze gepresst wurde, nahm ihm das Wort. Durch die Luft fliegende Wand- und Deckenteile löschten erstmal jeden Gedanken der Kinder an die Hunde und beschäftigten sie mit ihrem eigenen Überleben.


Petra Puderbach-Wiesmeth von CanisLogisch, 2011

wird fortgesetzt ...